Auf dem Venture-Capital-Markt in Europa lief es in den vergangenen Jahren eigentlich gar nicht schlecht. Vor allem das Jahr 2021 sah ein deutliches Wachstum des in Start-ups investierten Kapitals und damit einen wichtigen Impuls für innovative Geschäftsmodelle auf dem Kontinent. Doch global gesehen zeigt sich das Bild eines Wirtschaftsraumes, der infolge fehlenden Kapitals in Sachen wirtschaftlicher und technologischer Innovation den Anschluss zu verlieren droht. Finanzunternehmer Artan Qelaj aus Zürich verweist auf eine in einer Kooperation zwischen der Internet Economy Foundation (IE.F), dem Bundesverband Beteiligungskapital (BVK), der Kanzlei Schalast und dem Investor Lakestar durchgeführte Studie. Diese unternimmt eine kritische Betrachtung der aktuellen Situation am europäischen Venture Capital-Markt und stellt im internationalen Vergleich dringenden Handlungsbedarf fest.
2021 und 2022 waren gute Jahre für Venture Capital in Europa
2021 durchliefen die Venture-Capital-Investitionen in Europa eine überaus positive Entwicklung: Das Investitionsvolumen stieg auf 82,9 Milliarden Euro – eine Zunahme von knapp 138 Prozent gegenüber dem Wert von 34,8 Milliarden aus dem Vorjahr. Obwohl der Wagniskapitalmarkt anschliessend eine leichte Abkühlung erlebte, konnte er sich auf einem Niveau halten, das sowohl im Hinblick auf das Investitionsvolumen als auch die Anzahl der Deals deutlich über den Zahlen der Jahre vor 2021 lag. So sank das in europäische Start-ups investierte Kapital um etwas mehr als sieben Prozent auf 76,9 Milliarden Euro, während die Anzahl der Abschlüsse gegenüber dem Vorjahr leicht stieg.
Alles in allem waren 2021 und 2022 also gute Jahre für Venture Capital in Europa. Wie Artan Qelaj hervorhebt, sind diese Investitionen jedoch stets in Abhängigkeit mit der Wirtschaftsleistung zu betrachten. Und hier zeigt sich der europäische Rückstand. Denn setzt man die Summen in Relation zum BIP und stellt anhand dieser Quote einen Vergleich zu anderen Wirtschaftsräumen an, so tut sich eine deutliche Kluft insbesondere gegenüber den USA auf. Während die Finanzierungslücke zwischen Europa und den Vereinigten Staaten besonders gross ausfiel, hatte auch Asien insbesondere 2021 einen deutlichen Vorsprung. So machten Venture-Capital-Investitionen in Europa 2021 gerade einmal 0,40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus, während Asien auf einen Anteil von 0,56 Prozent kam und in den USA ganze 1,35 Prozent des BIP in Wagniskapital investiert wurden. Zwar erfuhr die VC-Quote in den USA 2022 einen deutlichen Dämpfer und ging auf 0,78 Prozent zurück, war aber trotzdem Asien mit 0,34 Prozent und Europa mit 0,33 Prozent noch immer weit voraus.
Allein in Deutschland braucht es eine Steigerung des Investitionsvolumens um gut 19 Prozent pro Jahr
Um das Ausmass des Rückstandes zu verdeutlichen, haben die Autoren der Venture-Capital-Studie am Beispiel von Deutschland die Grösse der Finanzierunglücke und die zum Aufschliessen mit den USA benötigten Mittel berechnet. Dafür wurde die VC-Quote der Vereinigten Staaten aus dem Jahr 2022 als Zielgrösse zugrunde gelegt. Bis zum Jahr 2030 soll also der Anteil der Wagniskapitalinvestitionen am deutschen Bruttoinlandsprodukt von zuletzt 0,25 Prozent auf 0,78 Prozent steigen. Das Ergebnis: Um dieses Ziel zu erreichen bräuchte es von 2023 bis 2030 ein jährliches Wachstum der VC-Investitionen um 19,3 Prozent. Das bedeutet, für das Jahr 2023 würde der zusätzliche Bedarf an Wagniskapital 1,3 Mrd. Euro betragen, welcher bis 2030 auf 26,2 Mrd. Euro ansteigen würde. Insgesamt müssten über den Zeitraum von 2023 bis 2030 91,1 Mrd. Euro mehr in den VC-Markt investiert werden, um mit den USA gleichzuziehen.
Auch wenn dies eine enorme Aufgabe darstellt, geht Finanzunternehmer Artan Qelaj aus Zürich mit der Einschätzung der Studienbetreiber konform: Um den Wohlstand in Europa zu sichern, braucht es Innovation – und diese benötigt Wagniskapital, das Start-ups als finanzielle Grundlage für die Realisierung ihrer innovativen Geschäftsmodelle dienen kann.
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